Unser Hotelzimmer in Bago liegt direkt an der Hauptstraße nach Yangon und ist dem entsprechend laut und verkehrsreich. Morgens werden wir von einem langsam aber stetig anschwellenden Hupkonzert geweckt. Unser erstes Frühstückslokal mehr als einfach, der erste Eindruck vom Morgen scheint sich zu bestätigen. Zum Glück erweisen sich unsere Hotelmanagerin Tusa und ihre Schwester als absolute Perlen und so werden wir total herzlich willkommen geheißen. Sie organisieren in den kommenden Tagen nicht nur unseren Aufenthalt in Bago, sondern erweisen sich abwechselnd auch als ausgezeichnete Taxifahrererin, Fremdenführerin, Fahrradverleiherin, Köchin oder Restaurant- und Hotelguide. Und Liam – man soll es nicht glauben – entwickelt eine innige Liebe zu Keke, ihrem kleinen Mops, der ungekrönt auf dem Hoteltresen thront.
Den ersten Tag radeln wir dann mit den Kindern hinten drauf durch die Stadt und besichtigen ein Kloster und mehrere Pagoden. Am längsten bleiben wir in der Shwe-shan-daw, die als höchste Pagode Myanmars gilt und zur Zeit unseres Besuches gerade mit tausenden Bambusstäben kunstvoll unter einer Haube verdeckt ist und aus der ein ständiges Klopfen und Hämmern zu hören war, sie wird grade neu vergoldet! Den Sonnenuntergang geniessen wir auf einer höher gelegenen Anlage, die wesentlich untouristischer ist und auf der nicht nur unsere Kinder prima Einkriege spielen und die heiligen Glocken läuten können.
Am nächsten Morgen starten wir dann sogar erst gegen acht und erreichen mit einer kurzen Frühstückspause unterwegs, am späten Vormittag das Basislager Kinpun und Anjas Hotel . Anja checkt schnell ein und dann geht es gleich mit der Speisung der 10.000 los: tatsächlich gibt es lange Tafeln an denen Reis ausgeteilt und Eistee verschenkt wird. Wir essen etwas, decken uns mit Getränken ein und schon sitzen wir zusammen mit ca. 35 Mitreisenden auf der mit Sitzbänken ausgestatteten Ladefläche eines Trucks. Ein kurzes Warten und dann geht die rasante Fahrt den Berg hoch los.
Schon beim Hinauffahren begegnen uns sehr viele vollbeladene abwärts fahrende Fahrzeuge und an der Menge der Wartenden erkennt man, wie voll es ist und wie langwierig es wird, wieder herunterzukommen. Leider ist es Maribel sehr übel nach der Fahrt und Anja versucht sie zu überzeugen, dass es besser sei, wenn sie sich in einem Korb oder mit ihr zusammen in einer Sänfte hochtragen ließe. Doch im Gegensatz zu unseren Kindern, die sofort ja schrieen, lehnt es Maribel total ab und so laufen wir doch alle die restlichen gut 1,5 Kilometer zum Ziel.
Der Golden Rock ist wahrlich eindrucksvoll, außergewöhnlich schön gelegen und gepaart mit dem ganz besonderen Aufstiegsprozedere ein unvergesslicher Ausflug. Zusammen mit hunderten anderer Leute bewegen wir uns in Richtung dieses großen Findlings, der wie von Zauberhand auf der Spitze eines Berges thront und tatsächlich jeden Augenblick hinabzufallen scheint.
Da es auch hier aus religiösen Gründen Frauen verboten ist, das Heiligtum zu berühren, gehe ich die letzten Meter mit den Jungs alleine und wir drücken jeder ein Goldplättchen an den großen Felsen. Und weil der gesamte Aufstieg heute tatsächlich kostenlos ist und sie scheinbar viel Spaß mit uns hat, kommt Tusa mit uns hinauf und erklärt uns alle Besonderheiten und Zeremonien. Ihr Zeitmanagement lässt aber kaum Spielraum für längeres Verweilen zu und so treten wir schon am frühen Nachmittag den Rückweg an.
Zusammen mit hunderten von anderen Wartenden halten wir Ausschau nach einer Transportmöglichkeit. Es scheint fast aussichtslos zu sein, da alle Warteplattformen überfüllt sind und sich lange Schlangen und Menschentrauben bilden. Doch Tusa erkennt einen der wenigen ankommenden LKW Fahrer und gibt uns Zeichen, hinter ihr und diesem her zu rennen. Mühsam und ohne Aufstiegshilfen beklettern wir die Ladefläche und quetschen uns stehend ganz nach hinten. Anja und Maribel bekommen dann sogar noch einen Sitzplatz angeboten und am Ende sind wir tatsächlich zusammen mit diesmal mehr als 60 (!) anderen Leuten auf dem LKW.
Nach langem hin und her rangieren bekommen wir grünes Licht und rasen den Berg hinab. Achterbahn fahren ist ein DIN genormter Klacks gegen diese halsbrecherische Fahrt, die uns in einem Affenzahn vorbei an Aussichtsplattformen und kleinen Lokalen durch atemberaubende Landschaft vorbei ins Tal führt. Unter einem überdachten Stellplatz müssen wir an einer Art Mittelstation noch einmal 20 Minuten warten, bevor es das letzte Teilstück mindestens ebenso rasant wieder ins Basislager zurück geht. Nelio verliert im Fahrtwind seinen schönen Hut, der aber von einem netten Mitreisenden aus einem der folgenden LKWs aufgelesen und ihm wiedergegeben wird. Am Ende zittern uns zwar die Knie, aber wir sind auch heilfroh, dass wir es miterleben und an diesem besonderen (und wahrscheinlich besonders vollen) Tag mit einer lokalen Führerin dabei sein konnten.
An der Basisstation werden wir gleich wieder zu Tisch gebeten und essen Reis mit einer scharfen Currysauce. Dann heißt es Abschied von Anja und Maribel nehmen, denn die beiden haben keine Lust mehr auf Großstadt und wollen direkt von hier aus mit dem Bus weiter in Richtung Süden reisen. Wir steigen wieder mit Tusa ins Auto und fahren zurück nach Bago, wo wir gegen Abend ankommen und noch sehr schick Essen gehen.
Den folgenden Tag verbringen wir noch in Bago und lassen uns diesmal auf der Ladefläche des Tuk Tuks von Tusas Bruder den westlichen Teil der alten Königstadt zeigen (das Tuk Tuk ist in diesem Fall ein Hybridgefährt aus langsamen Mopedvorderteil und großer überdachter Ladefläche im hinteren Teil, „ausgepolstert“ mit einer dünnen Plastikmatte!). Im Detail sehen wir einen freiliegenden sehr modernen und einen reich verzierten alten liegenden Buddha, beide über 50 Meter lang, aber nicht begehbar. Am Stadteingang sehen wir noch vier riesige sitzende Buddhas, die in alle vier Himmelsrichtungen blicken und die vier großen Buddhas verkörpern. Eine Pagode ist betretbar und hat einen tollen Rundgang, den unsere und einheimische Kinder ausgiebig zum Versteckspiel nutzen. Nach einer kleine Stärkung machen wir uns auf den Rückweg und treten die Weiterreise nach Yangon an.
Mit einem kleineren Bus, den wir direkt an der Straße anhalten, fahren wir die knapp zwei Stunden in die größte und wohl wichtigste Stadt des Landes, die seit einigen Jahren nicht mehr die Hauptstadt, sondern nur noch die wirtschaftliche und politische Metropole ist. Tusa hatte uns zum Glück ein Hotel empfohlen, das sogar ein Fenster besitzt, was scheinbar in Rangoon, wie es im Westen auch noch oft bezeichnet wird, eine nicht allzu oft anzutreffende Besonderheit darstellt! Überhaupt haben wir Glück mit dem Hotel und da uns mittlerweile alle starke Darmprobleme zu schaffen machen, sind wir froh, dass es sehr sauber und mit einem Badezimmer ausgestattet ist.
Am nächsten Tag flanieren wir durch das koloniale Rangoon, betreten auch ein mehrstöckiges langsam verfallendes Galeriehaus und machen eine längere Pause in einem sehr netten Park. Hier spielen und toben die Jungs mit myanmarischen Kids und wir erholen uns etwas von unserem Bauchgrummeln. Aber nicht nur der Park lädt zum Verweilen ein, insgesamt sind wir sehr überrascht über die Stadt, ihr vieles Grün und das angenehme Klima.
Sicher ist das Verbot von Motorrollern ein nicht korrektes Eingreifen in die soziale und politische Struktur und verschiebt den Verkehrskollaps in eine andere, ebenfalls kaum erträgliche Richtung, doch ist dadurch der Lärmpegel und der Fußgängerverkehr doch um einiges reduzierter und angenehmer. Morgens erwachen wir hier, mitten in der Altstadt bei offenem Fenster zu Vogelgezwitscher!
Wir besichtigen die Sule Pagode, die achteckig erbaut mitten auf einer Verkehrsinsel thront und u. a. durch eine Fußgängerbrücke erreichbar ist und laufen am Nachmittag noch zur Bothataung Tempelanlage, die ausnahmsweise auch innen betretbar und ähnlich aufwendig wie von außen mit Gold ausgekleidet ist. In ihrem Kern ist ein heiliger Schrein, in dem ein Haar von Buddha geschützt und verehrt wird. Bei unserem weiteren Rundgang spielen die Kinder wieder mit myanmarischen Jugendlichen und erregen die Aufmerksamkeit eines Myanmarers, der gerne mit ihnen sprechen möchte. Zunächst redet er alleine auf Englisch mit ihnen, dann übersetzen wir und es entwickelt sich in eine sehr interessante Unterhaltung. Er scheint viel gereist zu sein, kennt Deutschland und halb Europa, hat viel gelesen, studiert und angeblich sein Geld mit einer Art Galeristentätigkeit verdient. Er stammt aus dem Nordwesten des Landes und erweist sich als eloquenter Gesprächspartner, mit dem wir viel über die sich verändernde Lage in Myanmar, über das schwierige Verhältnis europäischer Kinder und Jugendlicher zu Konsum und die europäische Reizüberflutung sowie die komischen Auswüchse staatlich myanmarischer Zensur reden. Als wir uns verabschieden und den Tempel verlassen ist es bereist dunkel und wir lassen uns von einem Taxi nach Chinatown fahren. Hier schauen wir uns einen im Kontrast zu den vergoldeten Pagoden recht bunten und ganz anders ausgestalteten chinesischen Tempel an (interessanter Weise Mazu, der Meergottheit gewidmet, wie der Burning Man Tempel unserer taiwanischen Freunde!!) und laufen über diverse Nachtmärkte, vorbei an zig Essenständen zurück zum Hotel. Sabine und die Kids haben sich für japanisches Essen entschieden und so dinieren wir in Erinnerung an unser Nipponerlebnis vor ein paar Wochen endlich mal wieder Sushi und Ramen (Nudelsuppe). Und Liam verspeist dort doch tatsächlich seine auf dem Nachtmarkt erworbene Heuschrecke! Und zwar komplett und ohne großes Brimborium!
Unseren dritten Tag in Yangon beginnen wir mit der Besichtigung der großen Markthalle, in der wir zu unserer Verwunderung ein ganz anderes und sehr betuchtes Publikum antreffen. Wir machen zunächst bei einer indisch oder pakistanisch wirkenden Familie halt, die sich auf Edel- und Halbedelsteine spezialisiert hat. Hier dürfen unsere Kinder beim Schleifen zusehen und später auch selbst Hand anlegen. Schließlich gehen wir um zwei geschenkte Quarze reicher, weiter und merken, dass die gesamte Markthalle nur so von Juwelieren, Gold- und Schmuckhändlern strotzt. Ein Edelstand neben dem anderen, in denen Geldzählmaschinen (!) das Bezahlen erleichtern und die Summen verifizieren sollen. Bei diesen Bündeln, die die reichlich behängten Damen aus ihren Handtaschen holen, auch tatsächlich vielfach in Benutzung!
Weiter geht es dann zum prunken Höhepunkt der Reise, denn wir lassen uns zur Shwedagon Pagode fahren, der wohl weltgrößten Anhäufung an Gold überhaupt. An die 60 Tonnen zieren angeblich die Pagode und auch um und neben dem Hauptgebäude glänzt und strotzt es gülden im Licht der gleißenden Sonne. War es am Vortag noch angenehm bedeckt, scheint heute wieder unablässig und stark die Sonne auf das riesige Tempelareal. Sabine fühlt sich leider wieder schlecht und sie döst im Schatten der goldenen Pracht auf dem Marmorfußboden. Derweilen müssen unsere Kinder wieder zahlreiche Fototermine wahrnehmen und werden Opfer der steigenden Handy- und Selfie-Sucht der Myanmarer.
Am Ende verlassen wir die Pagode und vergessen leider Liams schönen Hut an der Eingangsschleuse, wo alle Besucher gescannt und durchleuchtet werden. Als wir kurze Zeit später zurückkehren ist er leider verschwunden und wir sind alle traurig. Wie wir später erzählt bekommen, hat Maribel parallel dazu den ihren auf der Fahrt in den Süden ebenfalls verloren.
Wir ziehen dann in einen weiteren schönen Park in der Nähe, wo wir in einem Café zu Mittag essen, in einem Schwan Tretboot fahren und Zeugen einer schicken Hochzeit am See werden. Nachdem wir ausgeruht bzw. die Kinder ordentlich getobt haben, machen wir uns auf den Rückweg. Schließlich landen wir doch wieder in einem Taxi, lassen uns noch zum Postamt fahren, um die letzten Postkarten zu verschicken und gehen auf Druck der Kinder wieder beim Japaner gegenüber Abendessen.
Früh am nächsten Morgen geht es dann mit dem Taxi zum Flughafen und über Dawei fliegen wir nach Kawthaung ganz im Süden des Landes. Tatsächlich steigen Anja und Maribel in Dawei zu uns ins Flugzeug und so sind wir nach vier Tagen wieder vereint. In Kawthaung geht es gleich mit dem Taxi zum Hafen, wo die Ausreiseformalitäten erledigt werden und dann weiter mit dem Longboat über den Fluß nach Thailand. Tschüß Myanmar heißt es und die Kinder winken noch lange der letzten golden schimmernden Pagode zu, dann erreichen wir den Hafen von Ranong und reisen zum zweiten Mal auf der Reise nach Thailand ein!
Hinter uns liegen vier ereignisreiche Wochen, die wir nun erst mal verdauen müssen. Myanmar hat uns verzaubert, zum Nachdenken gebracht, hat uns in vielem fasziniert, aber auch erschreckt und manchmal sprachlos gemacht. Die enorme Schere zwischen Arm und Reich, der krasse Gegensatz zwischen den goldgeschmückten Pagoden und den sehr einfach lebenden Menschen auf dem Land oder noch extremer unter den Bahnbrücken, wie z. B. in Mandalay. Aber natürlich auch der krasse Unterschied zu uns Touristen, den in manchen Gegenden wie Pilze aus dem Boden sprießenden ATM Maschinen (Geldautomaten) und auf der anderen Seite der einfachen Bevölkerung, die so gar nichts von all dem mitzubekommen scheint (im Positiven wie im Negativen!).
Myanmar war für uns das bisher unbekannteste Land und es hat uns mehr Kraft gekostet als die bisher bereisten Länder. Aber wir wurden reichlich beschenkt mit neuen Eindrücken, warmherzigen Begegnungen und immer wieder, jeden Tag aufs Neue mit einem Lächeln: Mingalaba! Wir sagen kyei zu bae (Danke) Myanmar und auf ein Wiedersehen!